Text und Bilder: Franz Völkl
Lennesrieth. Lärm ist oftmals störend, es gibt aber ein Dorf, in dem alljährlich an einem Nachmittag ein richtiges Ramasuri stattfindet und dabei das Geschrei von jungen, kräftigen Männern zum Ritual gehört – heuer herrscht leider einsame Stille.
„Pfingstschwanz, Oarschdorm, bist heit Nacht ins Bett eigfrorn. Warst eiher aufgestandn, was das a niat worn. Oier und Schmolz hein mer gern, Kraut und Fleisch essmer gern. Alleluja, Alleluja, da Pfingstschwanz is dou“, erschallt es seit mehr als 150 Jahren alljährlich am Pfingstmontag im wunderschönen Dorf Lennesrieth, das zur Marktgemeinde Waldthurn gehört. In diesem Jahr wird an diesem Tag eine ungewohnte Ruhe vorherrschen, leider kann der berühmte Lennesriether Pfingstschwanz nicht von Haus zu Haus ziehen. „Wir dürfen und wollen hinsichtlich der Coronakrise in diesem Jahr diesen alten Brauch nicht aufrecht halten, es wäre für alle Beteiligten, ob Pfingstschwanzfahrer aber auch die vielen Zuschauer zu gefährlich“, erklärte im Vorfeld Alexander Lukas. Der „Luki“ wie der Mistkarrenfahrer kurz genannt wird, ist seit vielen Jahren der heimliche Vorstand der Lennesriether Pfingstschwanzfahrer, kommt aus dem Nachbardorf Albersrieth und chauffiert seit 22 Jahren den Mistkarren, auf dem der Pfingstschwanz – der faule Sack – durch die Straßen gefahren wird.
„Pfingstschwanz“ wird, wer an diesem Pfingstmontag als letzter aus den Federn kriecht. Hinter vorgehaltener Hand behauptet man, dass der „Langschlaf“ alljährlich nur ein Aspekt zur Findung des Pfingstschwanzes sei, der andere sei die Tatsache, dass man sich bereits am Frühschoppen – nach dem Flurumgang – ausgiebig beim Dorfwirt berät und diskutiert. Bei diesen feuchten „frühschopplichen Beratungen“ engt sich der Kreis der Kandidaten sichtlich ein. Trotzdem wird erst kurz vor Start, im Schneinder- oder Äelbauernstodl – eine endgültige Entscheidung getroffen. Dem Spätaufsteher wird deswegen ein „Erdäpflsog“ – Jutesack über den Kopf gestülpt, ein Strohring um den Körper geschnürt unter großem Ramasuri wird er auf einen Schubkarren gelegt und unter Juchzen, Musikklängen und Goiselschnalzen von Haus zu Haus geschoben. Vor jedem Haus kippt der Luki den „Langschläfer im Jutesack“ ab und dieser tanzt unter den Klängen des Schifferklaviers wie der Lump am Steckerl. Während des Schautanzes rufen die Begleiter ihren Pfingstschwanzspruch. Obendrein wird das tanzende Opfer mit Wasser begossen oder von Kindern mit der Wasserpistole angespritzt.
„Ein echter Kerl der Region muss einmal im Leben beim Pfingstschwanzfahren dabei gewesen sein“, so der Leitspruch der Männerschaft. An diesem Ritual beteiligen sich nicht nur einheimische Junggesellen, auch Burschen aus den umliegenden Ortschaften stehen am Pfingstmontagnachmittag mit Lederhosen, kariertem Hemd, Hut, Flederwisch und Goiseln parat. Bewaffnet sind die jungen Burschen mit einem Buckelkorb für die Eier, einer Pfanne für das Schmalz und einer großen Geldkasse.Lukas kann sich dieses Jahr ausruhen und für nächstes Jahr neue Kräfte für die Mistkarrenfahrt sammeln. Denn er hat eine durchaus verantwortungsvolle Aufgabe die ihn auch den Schweiß ins Gesicht treibt. So geht es in halsbrecherischer Fahrt, angefeuert von der Dorfbevölkerung, mit dem mit Birken geschmückten Mistkarren durchs ganze Dorf und in jeder Kurve hat der Wagen eine beängstigende „Schlagseite“. Ausgeliehen wird der „mistige Karren“ vom Lennesriether Stefflbauern Hans, ein Mann, der das kulturelle Leben in seinem Heimatdorf in- und auswendig kennt. Auch die traditionelle Flurprozession am Pfingstmontagvormittag, von Lennesrieth nach Waldthurn, bei dem die jungen Männer jedes Jahr dabei sind, fällt Corona zum Opfer.
Besucher des Spektakels spendierten in den vergangenen Jahrzehnten immer einige Euros, damit sich die Truppe samt Pfingstschwanz anschließend aktiv erholen und im Dorfwirtshaus „Zur grünen Linde“ einkehren konnte. Viele vom Treiben ausgesperrten, weil verheirateten „älteren Säcke“ beobachten das Treiben sehr kritisch. Sie erklären Kind und Frau voller Stolz, dass das Familienoberhaupt früher auch schon mal einer dieser strammen Pfundskerln war. Aus erziehungstechnischen Gründen verschweigen aber die Väter ihren begleitenden Kindern, dass man bei den „ersten Trinkübungen“ beim Dorfwirt schon mal an einem Bier genippt habe.
Vor fünf Jahren – im Jahr 2015 – fuhren die Pfingstschwanzfahrer nach Regensburg und führten am Domplatz ihren Pfingstbrauch auf. Sie erinnerten dabei an ihre „Vorfahren“ der Pfingstschwanzfahrer, die unter dem Motto „Pfingstbräuche in der Oberpfalz“ fuhr 1975 eine damals sehr illustre Truppe am Pfingstsamstagnachmittag in die Bezirkshauptstadt, um oberpfalzweit ihrem urigen Brauch von der Sonnenseite des Fahrenberg der staunenden Stadtbevölkerung präsentiert hatten. Der verstorbene Waldthurner Heimatpfleger und ehemalige Bürgermeister Franz Bergler hatte damals die Fahrt organisiert.
Am Pfingstmontag des kommenden Jahres hofft der heute noch nichts von seiner Rolle ahnende Pfingstschwanz 2021, dass sich einige Dorffrauen trotz dieser Zwangspause 2020 wieder daran erinnern, mit dem springenden, juchzenden und nassen „Irgendjemand“ Erbarmen haben und ihn mit warmen Wasser begießen. Nötig hat der arme Tropf es allemal, nicht immer herrschen an Pfingsten sommerliche Temperaturen. Außer einer Badehose ist der Pfingstschwanz einzig und allein mit dem triefenden Jutesack bekleidet. Klar im Nachteil sind diejenigen Jungburschen, die bis zum nächsten Pfingsten 2021 in den Hafen der Ehe einfahren – für sie ist in diesem Jahr das letzte Pfingstschwanzfahren der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen.
Lebensfreude und Brauchtum pur sind am Pfingstmontag 2021 hoffentlich wieder in Lennesrieth zu sehen – „Alleluja, Alleluja, da Pfingstschwanz is dann hoffentlich wieder dou!“